Onlinesymposium „ITI kontrovers“: Bald Keramik statt Titan?
Keramik – heute schon eine Alternative zu Titan? Um diese Frage drehte sich das zweite live übertragene Onlinesymposium „ITI kontrovers“
Unter der Moderation von Dr. Georg Bach, Freiburg, diskutierten im Kölner Studio des Dental Online College (DOC) Prof. Dr. Dr. Knut Grötz, Wiesbaden, Prof. Dr. Petra Gierthmühlen, Düsseldorf, Dr. Stefan Röhling, Lörrach, und ZTM Thomas Lassen, Starnberg. 170 Teilnehmer beteiligten sich an der Onlinesession.
Als Implantatmaterial kann Zirkonoxid das Titan heute zwar noch nicht komplett ersetzen, hat sich aber als ernst zu nehmende Alternative etabliert. In diesem Punkt sind sich die Diskutanten einig. Während Dr. Stefan Röhling, Lörrach, aufgrund der bei Keramikimplantaten geringeren Biofilmbildung klinisch relevante Vorteile für Patienten sieht, zeigt sich Prof. Dr. Dr. Knut Grötz, Wiesbaden, deutlich zurückhaltender. Bei systemisch kompromittierten Patienten rät er – ganz anders als Röhling – von Keramikimplantaten ab und setzt definitiv auf Titan. Bei aller Keramikbegeisterung gelte es, die Besonnenheit zu wahren. Dass Zirkonoxid in den vergangenen zehn Jahren die Zahnmedizin revolutioniert habe, stehe aber außer Frage, betont Prof. Dr. Petra Gierthmühlen, Düsseldorf. Dank der außergewöhnlichen mechanischen Eigenschaften des Werkstoffs könnten heute fast alle Indikationen im Bereich der zahnund implantatgetragenen Prothetik abgedeckt werden. Wissenschaftliche Studien zeigten, dass auch die Abrasion bei korrekter Anwendung kein klinisch relevantes Problem darstelle. Voraussetzung für den Einsatz von Keramik ist allerdings, dass der Behandler die Kompetenz und die Grenzen des verwendeten Materials kennt. Diese skizziert der Materialwissenschaftler Prof. Dr. Dipl.- Ing. Martin Rosentritt, Regensburg, im zugeschalteten Interview: „Zirkonoxid ist nicht Zirkonoxid“, stellt er klar. Vielmehr handele es sich um ein aus verschiedenen Elementen zusammengesetztes Material mit unterschiedlichen Stärken, die ein unterschiedliches Bearbeiten erforderlich machten. Rosentritt selbst outet sich als Fan monolithischer Materialien. Denn bei diesen sei das Chippingproblem gelöst. Auch Gierthmühlen und ZTM Thomas Lassen, Starnberg, brechen eine Lanze für monolithische Materialien. Im Frontzahnbereich favorisiert Lassen allerdings nach wie – vor aufgrund des ästhetischen Outcomes – Verblendmaterial. Unbestritten gelten für Keramik andere Spielregeln als für Titan: So „krankten“ Zirkonoxidimplantate lange an einer zu glatten Oberfläche, wie Dr. Michael Gahlert, München, in dem ebenfalls eingespielten Video unterstreicht. Denn die richtige Technik dafür war bis etwa 2004 noch nicht gefunden. Oberflächenbearbeitungsverfahren von Titan auf Zirkonoxid zu übertragen hat sich als unmöglich erwiesen. Die Materialunterschiede sind zu groß. Während Zirkonoxid als Implantatmaterial bestimmte Normen erfüllen müsse, werde Titan lediglich in unterschiedlichen Reinheitsgraden verarbeitet.
Von links: ZTM Thomas Lassen, Prof. Petra Gierthmühlen, Dr. Georg Bach, Prof. Knut Grötz, Dr. Stefan Röhling
Zweiteilig versus einteilig
Heute ist man so weit: Keramikoberflächen lassen sich anrauen, ohne dass sie beschädigt werden, wie Gahlert zeigt. Und damit seien die anfänglichen Misserfolge gestoppt. Leider würden noch heute verlustreiche Keramikimplantate mit glatten Oberflächen in den Studien berücksichtigt und verfälschten die Ergebnisse. Gahlert setzt sich seit Langem für Zirkonoxid als Implantatmaterial ein, bevorzugt aber ausdrücklich die einteiligen Varianten – und das, obwohl sie als prothetisch schwieriger gelten und zementiert werden müssen. Gahlert bezeichnet sie als zuverlässig, vor allem auch hinsichtlich der Gewebeverträglichkeit. Die Behandler verlangen jedoch nach zweiteiligen Keramiklösungen, nicht nur wegen der einfacheren prothetischen Versorgung (Giertmühlen), sondern auch wegen des Verschraubens. Zementieren möchten aufgrund der Periimplantitisgefahr immer weniger Behandler. Zweiteilige Keramikimplantate sieht die Runde jedoch nach wie vor kritisch. Da brauche es noch Studien, heißt es.
Dass der Wunsch vieler Patienten nach Metallfreiheit neu eingeordnet und vor allem nicht als Marketing - instrument missbraucht werden dürfe, steht für die Diskutanten außer Frage. Grötz macht sich dafür stark, mithilfe einer entsprechenden Leitlinie in diesem Punkt endlich Klarheit zu schaffen. Denn von Titan gehe definitiv keine Gefahr aus, unterstreicht er. Das Material sei nachhaltig und gut erforscht. Und Lymphozytentransformationstests, wie sie Dr. Volker von Bär, Berlin, in der Videoeinspielung vorstellt, lehnt er ab. Sie überprüften lediglich die Allergiebereitschaft, aber keine Titan - unverträglichkeit. Die Messung von Interleukin- 1 (IL-1) und TNF Alpha zeige die Hyperaktivität phagozytierender Zellen (Makrophagen). „Sind das wirklich Risikofaktoren für einen Implantatverlust?“, fragt er. Statt Titan zu verteufeln und Keramik zu „hypen“, wünscht er sich eine „personalisierte Medizin“ mit individueller Indikationsfindung.
Erfolgsentscheidend sei weniger das Material, sondern vielmehr der richtige Umgang mit dem Werkstoff. Es gelte die Spielregeln zu kennen und die richtige Indikation zu treffen. In puncto Keramikimplantate, besonders mit Blick auf die zweiteiligen, seien sicherlich noch weitere Studien erforderlich. Röhling hält anders als Grötz Keramikimplantate für Risikopatienten für zuverlässig (wir haben da Fünfjahresdaten). Titan – da ist sich die Runde einig – habe aber weiter seine Berechtigung, Zirkonoxid sei eine schöne Ergänzung, meint Gierthmühlen. „Das wird sich die Waage halten in den kommenden Jahren.“ Dass es in der nächsten Zeit 2,9-mm-Durchmesser-Implantate aus Zirkonoxid geben wird, hält zumindest Grötz für ausgeschlossen. „Bei diesen Durchmessern würde ich kein Keramik - implantat verwenden“, stellt er klar.
Diskussion on Demand
Mit dieser zweiten Live-Session setzt die deutsche Sektion des ITI ihren neuen Weg der Wissens- und Informationsvermittlung fort. In gut eineinhalb Stunden erfahren die Teilnehmer den aktuellen Stand der Wissenschaft zum Thema „Zirkonoxid – schon eine Alternative zum Titan?“ Und sie erhalten zudem Einblicke in die Materialkunde. Die Aufzeichnung der Live-Diskussion: steht auf www.iti-kontrovers.de.