#Effizienz 08.12.2020

Nichtchirurgische parodontale Regeneration

Verfahren in der Parodontalchirurgie werden zunehmend weniger invasiv und der Einsatz von Schmelz-Matrix-Proteinen hat maßgeblich zu überzeugenden klinischen Ergebnissen und breiten Einsatzgebieten geführt. Folgender Beitrag beschreibt ein minimalinvasives Vorgehen ohne Lappenoperation.

Seit einem Vierteljahrhundert ist Emdogain® (EMD, Straumann) ein gut erforschtes und einfach anzuwendendes Gel auf Propylenglycolalginat-(PGA-)Basis. Es enthält Schmelz-Matrix-Proteine und ist ein Komplex aus nativen Proteinen, wie Amelogenin (circa 90 Prozent), und anderen Proteinen, die eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung der zahnstützenden Gewebe spielen.

Wirkprinzip von Emdogain

In der ersten Phase der Wundheilung zeigt das hier verwendete Gel antibakterielle Eigenschaften und begünstigt eine deutlich schnellere Fibroblastenanhaftung an die Wurzeloberfläche als bei einer konventionellen Behandlung ohne GTR. Dadurch werden Anlagerung von Zellen, Umbau und Konsolidierung von Gewebe und Proliferation gefördert, sodass ein neues parodontales Attachment entsteht. 1–6, 8–10, 12, 13, 18 ,20 
Auf die gereinigte Wurzeloberfläche des parodontal erkrankten Zahns aufgetragen, begünstigt EMD die Regeneration aller Strukturen des Parodonts. Das konnten mehr als 1.000 Peer-Review-Publikationen und 600 Humanstudien, darunter Zehn-Jahres-Daten und humanhistologische Untersuchungen, zeigen.11, 14, 15, 17
Die Regeneration des Knochendefekts erfolgt in den darauffolgenden Monaten und setzt sich als „biologische Reifung“ des Knochendefekts bis zu drei Jahre fort.16
Der Autor hält das Gel aufgrund seiner Erfahrung für absolut sicher und ist von der Gewebeverträglichkeit, den guten klinischen Ergebnissen sowohl bei offenen als auch bei geschlossen regenerativen Verfahren und nicht zuletzt der einfachen Handhabung überzeugt. Inzwischen ist der neue Therapieansatz mit Emdogain® FL (flapless) fester Bestandteil in seiner Praxis.

Breites Einsatzgebiet

Die richtige Vorbereitung und die adäquate Nachsorge im Rahmen der systematischen Parodontitistherapie sind grundsätzlich entscheidend für den Therapieerfolg sowohl beim geschlossenen als auch beim offenen Verfahren. Risikofaktoren gilt es vorab zu ermitteln und wenn möglich abzustellen. Rauchen ist bei guter Mundhygiene und guter Compliance keine absolute Kontraindikation, doch starke Raucher werden von der Behandlung mit dem hier verwendeten Schmelz-Matrix-Protein ausgenommen.

Bei einwurzeligen Zähnen mit lokalisierten zwei- bis dreiwandigen, intraossären Knochendefekten und Taschensondierungstiefen von 5 bis 9 mm empfiehlt sich das geschlossene Verfahren mit Emdogain FL. Zu den klassischen Indikationsbereichen für die Anwendung von Emdogain beim offenen Verfahren gehören hingegen ein- bis dreiwandige intraossäre Defekte, mandibuläre Furkationsdefekte (Grad I und II) sowie singuläre und multiple Rezessionsdefekte Miller Klasse 1 bis 2. Darüber hinaus lässt sich ableiten, dass zum Indikationsbereich sowohl mehrwurzelige Zähne mit einer Sondierungstiefe von mehr als 6 mm, die nicht auf eine geschlossene Therapie ansprechen, als auch einwurzelige Zähne mit Sondierungstiefen mit mehr als 9 mm gehören.

Was das offene Verfahren angeht, kann es je nach Defektmorphologie hilfreich sein, das Gel in Kombination mit einem Füllkörper und/oder einer Membran einzubringen. Dadurch wird ermöglicht, den Defektraum dreidimensional zu stabilisieren und das Weichgewebe vom Defekt fernzuhalten. Ein alternativer vielversprechender Ansatz ist die Granulationsgewebe-erhaltende Technik (GTPT), entwickelt von einer Arbeitsgruppe aus Hannover. Dabei wird das Granulationsgewebe mit mikrochirurgischen Techniken in toto gehoben und nach Instrumentierung und Bearbeitung der Wurzeloberfläche mit einem EDTA-haltigen Gel (PrefGel®, Straumann) und dem Schmelz-Matrix-Protein (Emdogain®, Straumann) wieder wieder in den Defekt reponiert. Das vermeidet das Einbringen z. B. körperfremder und kostenintensiver Füllmaterialien.7

Fallbeispiel

Bei einer 27-jährigen Patientin mit lokalisierten  Knocheneinbrüchen in Regio 16 und 21 wurde nach systematischer Parodontitistherapie Zahn 21 mit dem minimal-invasiven Verfahren behandelt. Es handelte sich um einen lokalisierten dreiwandigen Defekt distopalatinal an Zahn 21 mit einer Sondierungstiefe von 6 bis 7 mm. Die Therapie mit dem zuvor beschriebenen Gel erfolgte drei Wochen nach „Erst-Deep-Scaling“, da nach der klinischen Erfahrung des Autors in dieser Phase der systematischen PAR-Therapie die Blutungsneigung am geringsten ist.
Dem Behandlungsprotokoll des Herstellers entsprechend wurde nach entsprechender Anästhesie das Zahnfleisch sanft zurückgezogen, um Zugang zur betroffenen Wurzeloberfläche zu schaffen.19 Dafür empfiehlt sich ein mit Kochsalz getränkter kleiner Gazestreifen, um die Gingiva zu retrahieren.
Dieser wird mit einem Heidemanninstrumentoder Fadenlegeinstrument, ähnlich wie bei prothetischen Abformtechniken, in die Tasche eingebracht und für zwei Minuten dort belassen. Die Gazestreifen saugen sich voll, und nach dem Entfernen kann man fast bis auf den Taschenboden schauen. Eine Viertelstunde vor dem Eingriff und erneut unmittelbar vor der Entfernung/Insertion des Gazestreifens wurde eine zweizeitige Lokalanästhesie mit hohem Adrenalinanteil (1 : 100.000) durchgeführt, um zusätzlich eine relative Blutarmut zu erzeugen.

Nach dem Spülen mit steriler Kochsalzlösung, Konditionierung der Wurzel- oberfläche mit pH-neutralem, 24-prozentigem EDTA zur Entfernung der Schmierschicht (Smear Layer) und nochmaligem Spülen wurde das Gel in die Parodontaltasche appliziert. Der spezielle Aufsatz der Gel-Spritze erleichtert es, den Boden der Parodontaltasche zu erreichen. Insgesamt sollte es vermieden werden, durch zu aggressives Vorgehen mit spitzen Instrumenten unnötig eine Blutung zu riskieren. Der Erfahrung des Autors nach ist es sehr zeitaufwendig und fast nicht möglich, eine iatrogen erzeugte Blutung wieder zu stillen. Es sollten weder Chlorhexidin- oder Eisensulfatpräparate eingebracht werden noch empfiehlt es sich, mit einem Pulver-Wasser- Strahl vorzugehen, da Proteine hochempfindliche Moleküle sind, die leicht mit anderen Stoffen reagieren.

Abschließend wird der Gingivalsaum vorsichtig gegen den Zahn adaptiert, bis das Zahnfleisch den Zahn umschließt. Dazu empfiehlt es sich, einen kochsalzgetränkten Gazetupfer eine Minute lang von bukkal und oral an die Gingiva zu pressen.
Die geschlossene Behandlung mit dem hier verwendeten Gel führte bereits in der frühen Nachsorgephase zu besseren Ergebnissen hinsichtlich Farbe und Textur der Gingiva, Restschwellung und Schmerzempfindung als nach Deep-Scaling-Behandlung allein.

Fazit für die Praxis

Schmelz-Matrix-Proteine in dieser Form (Emdogain®, Straumann) haben sich in der Parodontologie und Implantologie seit 25 Jahren bewährt. Insbesondere überzeugen einfache und sichere Handhabung, gute Gewebeverträglichkeit und erfolgreiche klinische Ergebnisse- Die breiten Einsatzgebiete – sowohl für offene als auch geschlossene regenerative Verfahren – sind ein weiterer Pluspunkt. Patienten- und Defektselektion beeinflussen die Ergebnisse, und bei offenen techniksensitiven Verfahren sind chirurgische Fertigkeiten und Erfahrungen des Behandlers von Vorteil.

Das neue Flapless-Verfahren, das auf die schonende Anwendung ohne Lappenoperation abzielt, unterstreicht den allgemeinen Trend in der Parodontologie und Implantologie: weniger traumatische Eingriffe, möglichst minimalinvasive und damit patientenschonende Lösungen. In den vergangenen Jahren hat sich gezeigt, dass die Ergebnisse, vor allem hinsichtlich des Attachmentgewinns und der Reduktion der Sondierungstiefen, immer besser wurden, je minimalinvasiver und atraumatischer der Eingriff durchgeführt wurde. Vor diesem Hintergrund eröffnet das gewebeschonende Verfahren (mit Emdogain® FL, Straumann) patientenfreundliche Wege mit verringerten Komplikationen und reduziertem Risiko und ist die logische Weiterentwicklung in der Parodontologie. Zukünftig sollten weitere Studien und humanhistologische Untersuchungen untermauern, dass mit dem Flapless-Verfahren die „nichtchirurgische“ Regeneration nachhaltig gelingt.
Die klinischen Ergebnisse sind außerordentlich vielversprechend.

Literatur:

1. Buti J, Baccini M, Nieri M, La Marca M, Pini-Prato GP. Bayesian network meta-analysis of root coverage procedures: ranking efficacy and identification of best treatment.
J Clin Periodontol. 2013 Apr;40(4):372-86. doi: 10.1111/jcpe.12028. Epub 2013 Jan 24.

2. Cochran DL, King GN, Schoolfield J, Velasquez-Plata D, Mellonig JT, Jones A.:The effect of enamel matrix proteins on periodontal regeneration as determined by histological analyses.
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3. Cortellini P, Tonetti MS.: Clinical and radiographic outcomes of the modified minimally invasive surgical technique with and without regenerative materials: a randomized-controlled trial in intra-bony defects.
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4. Cortellini P, Tonetti MS.:Improved wound stability with a modified minimally invasive surgical technique in the regenerative treatment of isolated interdental intrabony defects.
J Clin Periodontol. 2009 Feb;36(2):157-63. doi: 10.1111/j.1600-051X.2008.01352.x.

5. Cortellini P, Tonetti MS.:A minimally invasive surgical technique with an enamel matrix derivative in the regenerative treatment of intra-bony defects: a novel approach to limit morbidity.
J Clin Periodontol. 2007 Jan;34(1):87-93.]

6. Hoffmann T, Richter S, Meyle J, Gonzales JR, Heinz B, Arjomand M, Sculean A, Reich E, Jepsen K, Jepsen S, Boedeker RH.: A randomized clinical multicentre trial comparing enamel matrix derivative and membrane treatment of buccal class II furcation involvement in mandibular molars. Part III: patient factors and treatment outcome.
J Clin Periodontol. 2006 Aug;33(8):575-83.

7. Hüsamettin G, Staufenbiel I, Geurtsen W, Adam K: Die Granulationsgewebeerhaltende Technik in der regenerativen Periimplantitistherapie –  ein Behandlungskonzept mit Fallberichten.
DZZ 2019; 74 (1), 16-27.

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9. Jepsen S, Heinz B, Jepsen K, Arjomand M, Hoffmann T, Richter S, Reich E, Sculean A, Gonzales JR, Bödeker RH, Meyle J. A randomized clinical trial comparing enamel matrix derivative and membrane treatment of buccal Class II furcation involvement in mandibular molars. Part I: Study design and results for primary outcomes.
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10. Jepsen S, Heinz B, Wachtel H: Gemeinsame Stellungnahme der DGP/DGZMK Regenerative Therapie mit einem Schmelzmatrixprotein (Emdogain). Stand 01/2002. DZZ 49 ( 94 ).

11. McGuire MK, Scheyer ET, Nunn M. Evaluation of human recession defects treated with coronally advanced flaps and either enamel matrix derivative or connective tissue: com¬parison of clinical parameters at 10 years.
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12. Meyle J, Hoffmann T, Topoll H, Heinz B, Al-Machot E, Jervøe-Storm PM, Meiss C, Eickholz P, Jepsen S.: A multi-centre randomized controlled clinical trial on the treatment of intra-bony defects with enamel matrix derivatives/synthetic bone graft or enamel matrix derivatives alone: results after 12 months.
J Clin Periodontol. 2011 Jul;38(7):652-60.

13. Meyle J, Gonzales JR, Bödeker RH, Hoffmann T, Richter S, Heinz B, Arjomand M, Reich E, Sculean A, Jepsen K, Jepsen S. A randomized clinical trial comparing enamel matrix derivative and membrane treatment of buccal class II furcation involvement in mandibular molars. Part II: secondary outcomes.
J Periodontol. 2004 Sep;75(9):1188-95.

14. Pecanov-Schröder A. Emdogain „flapless“ im Fokus von Parodontologen und Implantologen.
Dent Implantologie 2019 23(5):316-9.

15. Pecanov-Schröder A. Expertenrunde: Schmelzmatrixproteine und minimal-invasive Therapie. Wissenschaftliche und klinische Bewährung von Emdogain und Emdogain FL in der regenerativen Parodontaltherapie. https://www.quintessenz-news.de/expertenrunde-schmelzmatrixproteine-und-minimal-invasive-therapie/ 30.07.2019. Zuletzt aufgerufen: 12.05.2020

16. Pecanov-Schröder A: „Schmelzmatrixproteine brachten den Durchbruch für die regenerative Parodontaltherapie“. DZW 2015;19:10-11.

17. Sculean A, Kiss A, Miliauskaite A, Schwarz F, Arweiler NB, Hannig M. Ten-year results following treatment of intra-bony defeActs with enamel matrix proteins and guided tissue regeneration.
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18. Sculean A, Donos N, Schwarz F, Becker J, Brecx M, Arweiler NB.:Five-year results following treatment of intrabony defects with enamel matrix proteins and guided tissue regeneration.
J Clin Periodontol. 2004 Jul;31(7):545-9.

19. Straumann: Informationen zur Vorgehensweise und zur Nachsorge finden sich auf http://ifu.straumann.com/de/home.html (Zuletzt aufgerufen: 14.05.2020)

20. Wada Y, Mizuno M, Nodasaka Y, Tamura M.The effect of enamel matrix derivative on spreading, proliferation, and differentiation of osteoblasts cultured on zirconia.
Int J Oral Maxillofac Implants. 2012 Jul-Aug;27(4):849-58.